Die Skills von Tante Emma – Worauf sich Händler in Zeiten der Digitalisierung besinnen sollten

Stellen Sie sich vor, Sie betreten ein Fachgeschäft und der Verkäufer kennt Ihren Namen, er weiß sogar, dass Sie zwei Kinder haben; darüber hinaus weiß er aber auch, dass eins der Kinder Grippe hat und Sie eigentlich mit der ganzen Familie übers Wochenende ins Allgäu fahren wollen. Weil er so viel über Sie weiß, kann er Sie optimal beraten, er verkauft Ihnen exakt das, was Sie wollen und brauchen. Ist diese Vorstellung angenehm oder gruselig?

Tante Emma war eine Datenkrake

Früher war das so und niemanden hat es gestört. Der Einkauf im kleinen Laden um die Ecke war ein Erlebnis, eine Form des gesellschaftlichen Austauschs und hat die Sozialisation vieler Kinder geprägt. Die „Tante Emma“ war ein Knotenpunkt im Viertel, ein Anlaufpunkt und eine Datenbank in der eigenen Nachbarschaft. Der klassische Tante-Emma-Laden war nicht groß, sondern überschaubar und er war kunterbunt und vor allem war der Einkauf dort nicht nur personalisiert – sondern persönlich.

Personalisierter Einkauf vs. Persönlicher Einkauf

Im Zuge der Digitalisierung des Einzelhandels haben auch stationäre Händler heutzutage ein wahres Arsenal an technologischen Werkzeugen, um näher an ihren Kunden zu sein und mehr über sie zu erfahren. Selbst wenn man alle erdenklichen Tools nutzt, um das Einkaufserlebnis seiner Kunden zu personalisieren und zu individualisieren, so wächst der Stellenwert eines Ladengeschäfts (und dessen Umsatz) insbesondere durch die persönliche Verankerung im Viertel. Denn DAS ist die Zielgruppe; und so geht es gar nicht darum, so nah wie möglich an der eigenen Zielgruppe dran zu sein, sondern mittendrin, ein Teil davon.

Was das bedeutet, wenn man nicht nur einen einzigen kleinen Laden betreibt, sondern konkret 185 Filialen, das wird in brand eins Thema Reputation 2019 anschaulich in einem Artikel über Budni (eigentlich Budnikowsky) beschrieben, einem alteingesessenen Unternehmen in der Drogeriebranche; bisher vor allem im Großraum Hamburg bekannt. Für uns ist diese Erfolgsgeschichte eines Traditionsunternehmens ein Beleg, dass die Fähigkeiten von Tante Emma auch in der digitalisierten, modernen Welt zum Rüstzeug eines stationären Händlers gehören sollten:

  • Diversität ist bereichernd – Mitarbeiter sollen genauso verschieden sein wie die Menschen im Viertel. Sie repräsentieren nicht eine Marke, sondern verkörpern die Menschen in der Nachbarschaft.
  • Auf die Zielgruppe lokal abgestimmtes Sortiment – Budni hat beispielsweise insgesamt 25 000 Produkte, davon aber nur ca. 12 000 in jedem Laden; das Sortiment vor Ort ist deutlich angepasst an die Bedürfnisse der Menschen vor Ort.
  • Kundennähe durch Wissen und Vertrauen – Tante Emma kannte ihre Produkte sowie ihre Kunden und sie hatte deren Vertrauen. So hat man gleichzeitig das Gefühl, das Richtige eingekauft UND sich mit einem vertrauten Menschen ausgetauscht zu haben.
  • Sozial engagiert sein – mit den Kunden zusammen Gutes tun, das verbindet und gewährleistet, dass das Ladengeschäft nah am Alltag der Zielgruppe ist.

Transparenter Austausch für das optimale Einkaufserlebnis

Für ein personalisiertes Einkaufserlebnis, vor allem online, werden Daten der potenziellen und tatsächlichen Käufer gesammelt. Vielen Kunden bereitet das Unbehagen, weil sie schlichtweg nicht wissen, was das für Informationen sind, die mittels Algorithmen über sie gesammelt werden. Tante Emma wusste wahrscheinlich noch viel mehr über uns, als jeder Onlineshop heutzutage, aber dieser Datentransfer war transparent, der Einkauf war persönlich. An diesem Punkt sollten stationäre Händler wieder ansetzen, um aus Kunden Stammkunden zu machen, denn der Trend ist günstig: der Bewegungsradius der Käufer schrumpft wieder. Man ist immer weniger bereit, in das Stadtzentrum zu fahren oder in das große Einkaufscenter in der Peripherie. Stattdessen sind die Leute wieder viel lieber in ihrem Viertel, in der unmittelbaren Nähe ihrer eigenen vier Wände, unterwegs.

Die Enkel von Tante Emma sollten sich wieder mehr auf das besinnen, was ein stationäres Ladengeschäft ausmacht, nämlich das, was ihre Großmutter noch wusste. Der Laden ist für die Menschen vor Ort; Persönlichkeit und Vertrauen schlagen im Kiez jeden Algorithmus; und beides ist kein Hindernis, um auch online auf anderen Kanälen erfolgreich zu verkaufen.

Ganz im Gegenteil, das tiefe Interesse für die Bedürfnisse der Kunden fängt im eigenen Laden an und hört im Internet nicht auf.