Freier EU-Handel, Geoblocking ade: Kunden gewinnen, Händler in Zwiespalt

Vorraussichtlich im Jahr 2018 soll der Onlinehandel durch Aufhebung von Barrieren wie Geoblocking liberalisiert werden. Kunden dürfen sich dann über Schnäppchen freuen, einige Onlinehändler könnten aber draufzahlen.

Die Europäische Union (EU) will nicht nur offline, sondern auch online als Einheit in Erscheinung treten und deshalb den Onlinehandel durch Maßnahmen wie der Aufhebung von Geoblocking, liberalisieren. Ihr Ziel: Umsatzsteigerung um 415 Milliarden Euro und hunderttausende neue Jobs innerhalb der EU. Die Händler allerdings sind noch nicht wirklich überzeugt.

In ihrem Programm “Digital Single Market (DSM)“ sieht die EU vor, Geoblocking zu unterbinden und Kunden grenzenlosen Onlinehandel zu ermöglichen. Außerdem sollen gängige Vertriebseinschränkungen für den Onlinehändler aufgehoben werden. Davon verspricht sich Brüssel, den Wettbewerb in der EU zu stärken. Praktiken wie die automatisierte Umleitung auf die länderspezifische Homepage oder der erzwungene Kaufabbruch während des Bezahlvorgangs auf länderübergreifenden Seiten könnten so bald der Vergangenheit angehören.

Auf ihrer Onlinepräsenz beschreibt die EU, mit immerhin 16,5 Prozent Marktanteil die weltweit größte Handelsmacht, ihre Ausgangslage wie folgt: „Vorhandene Barrieren halten Verbrauchern Produktgüter und Dienstleistungen vor und schränken die Möglichkeiten von Onlinefirmen ein. Es ist Zeit, den Binnenmarkt der EU fit für das digitale Zeitalter zu machen“.

Hersteller halten Kunden durch Geoblocking Bestpreise vor

Mit “Barrieren“ meint die EU etwa das verbreitete Geoblocking, das Sperren von geographisch eingegrenzten Online-Inhalten. Ruft man zum heutigen Stand beispielsweise die Webseite von Amazon auf, wird im Inland automatisch auf die länderspezifische Seite mit dem Kürzel „.de“ umgeleitet. Der Grund: Hersteller ermitteln mithilfe von Kunden-Tracking potentiell erzielbare Maximal-Preise und hindern Kunden daran, von attraktiveren Preisen in anderen EU-Ländern zu profitieren. Ein Vergleich: Während man für die kostspielige VR-Brille Oculus Rift des Anbieters Oculus bei Amazon-Deutschland aktuell 1.099 Euro hinblättern muss, kostet sie bei Amazon-Italien 949 Euro – für den deutschen Konsumenten eine Ersparnis von immerhin 150 Euro.

Schnäppchenjäger können sich zukünftig womöglich über Rabatte wie die in Italien um 150 Euro günstigere VR-Brille Oculus Rift freuen. Durch die Aufhebung der Grenzen könnten Shopendungen wegfallen und auch die Webshops vereinheitlicht werden.
Durch Onlinebarrieren entgehen Kunden täglich Bestpreise: In Italien kosten die VR-Brille Oculus Rift beispielsweise um 150 Euro weniger als in Deutschland. Quelle: Amazon

Laut Stiftung Warentest wenden 40 Prozent der Onlinehändler Geoblocking ein, um den Verkauf in andere EU-Länder zu unterbinden. Dazu verpflichtet sind aber gerademal elf Prozent. Dabei handelt es sich um Anbieter von Musik, Filmen oder Videos, die auf das Inland beschränkte Urheberrechte enthalten. Um die Schaffung eines freien Handels zu ebnen, führte die EU-Kommission in der Übergangszeit 2015/2016 eine Befragung von Herstellern und Onlinehändlern durch. Die Ergebnisse sollten insbesondere Aufschluss über die Vertriebsvereinbarungen zwischen ihnen geben. Um eine detaillierte Einsicht in Vertriebsverträge kamen die beiden Parteien dabei nicht herum.

EU-Bericht: Preisbindung ist Vertriebseinschränkung Nummer Eins

In ihrem Ergebnisbericht “Preliminary Report on the E-Commerce Sektor Enquiry“ nennt die EU-Kommission mit 42 Prozent die Preiseinschränkung beziehungsweise die Preisempfehlung als Vertriebseinschränkung Nummer Eins. Andere Auflagen von Herstellern für die Onlinehändler sind unter anderem der ausschließliche Verkauf via Onlinemarktplätze oder die Einschränkung bei der Nutzung von Preisvergleich-Tools. Italien und Frankreich liegen mit mindestens einer vertraglichen Vertriebsvereinbarung zwischen Herstellern und Onlineshops mit je 63 Prozent an der Spitze der EU-Länder, gefolgt von Deutschland mit 54 Prozent auf Rang drei und Schweden mit 53 Prozent auf Rang vier –  Schlusslicht der untersuchten Länder ist mit 25 Prozent Österreich. Am meisten betroffen ist laut dem EU-Bericht mit 20 Prozent das Bekleidungs- und Schuhsegment, gefolgt vom Sport- und Outdoor-Bereich (18 Prozent).

Onlinehändler im Konkurrenzkampf, Kunden auf Schnäppchenjagd

In ihrem im Mai 2016 veröffentlichten Entwurf zur Schaffung eines einheitlichen digitalen Binnenmarktes bezeichnet die EU-Kommission Geoblocking als Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes. Damit soll laut Entwurf zum Ende 2016 Schluss sein. Experten rechnen bis zur Umsetzung des Plans sogar bis zum Jahr 2018. Die Konsequenz für Verbraucher: Für Schnäppchenjäger wird sich zukünftig ein Blick auf den Onlinehandel außerhalb ihres Landes lohnen. Da Preisbindung in Deutschland verboten ist und Hersteller den Verkaufspreis für ihre Produkte nicht vereinheitlichen dürfen, wird Onlinehändlern nach Inkrafttreten eines entsprechenden Gesetztes die Liberalisierung des E-Commerce beschert. Mit der Erschließung von neuen Onlinemarktplätzen und der Ausschöpfung der Potentiale im Cross-Border-Commerce können Sie mehr Umsätze generieren. Das erfordert nicht zuletzt neue Arbeitsplätze im E-Commerce. Die Liberalisierung des Onlinehandels ist bei den Onlinehändlern aber auch mit Skepsis behaftet: Die Aufhebung von Geoblocking könnte Onlinemarktplätze wie Amazon oder Zalando die länderspezifische Webshop-Präsenz entziehen. Die Konsequenzen sind einheitliche EU-Preise, die sich durch individuelle logistische Mehraufwände und Finanzausgaben nicht rechtfertigen lassen.

Bildquelle: Kagenmi / Thinkstockphotos