Controlling im E-Commerce: “Den durchschnittlichen Kunden gibt es nicht“

Der Aufwärtstrend im E-Commerce ruft ein ergebnisorientiertes Controlling auf den Plan.

E-Commerce floriert und rückt dem lokalen Handel dicht auf die Fersen. In seiner Prognose für das Jahr 2016 prognostiziert der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) einen Umsatz von rund 53 Milliarden Euro im B2C-E-Commerce in Deutschland. Die Gesellschaft für Konsumforschung (Gfk) sagt für den gleichen Zeitraum für den stationären Handel ein Umsatzvolumen von 411,3 Milliarden voraus. Noch ist die Kluft vorhanden, vergleicht man aber die Wachstumsraten beider Vertriebskanäle, wird deutlich: der E-Commerce hat einen starken Aufwärtstrend. Das ruft auch ein entsprechendes Controlling auf den Plan. Wie ein Besuch des 26. E-Commerce-Forums (#ecommka) bei den Karlsruher E-Commerce-Spezialisten Flagbit am 8. September zum Thema Controlling mit den beiden Gastrednern Peter Höschl und Christian Hagemeyer aber zeigt: neben der einfachen Controlling-Formel “Umsatz minus Kosten“ stellt sich die zentrale Frage, wie erfolgreiches Controlling eigentlich funktioniert.

Überbedarf im E-Commerce: auf einen Onlineshop kommen 74,4 Kunden

Noch hat der lokale Handel wirtschaftlich die Nase vorn, richtet man aber den Blick auf seine Wachstumsrate geht die GfK 2016 von einem Plus von 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Für den gleichen Zeitrahmen sagen Experten in einer internationalen Studie von RetailMeNot, dem größten Marktplatzes für digitale Angebote und dem Centre for Retail Research, einen E-Commerce-Umsatzzuwachs von 18,3 Prozent voraus. Diese Entwicklung lässt Onlineshops wie Pilze aus dem Boden schießen. Wie Peter Höschl, E-Commerce-Experte, Betreiber des E-Commerce-Portals shopanbieter.de und erster Redner des 26. #ecommka voranstellt, hat Deutschland aktuell die stattliche Summe von 546.293 Onlineshops zu vermelden. Wenn man diese Zahl in Relation zu der Zahl der 40,7 Millionen Onlineshopper in Deutschland im Jahr 2015 setzt, die aus der Studie hervorgeht, wird sichtbar: Auf einen Onlineshop kommen lediglich 74,5 Konsumenten. „Dabei entfallen 70 Prozent des Gesamtumsatzes auf die Top-1000-Onlineshops. Für die durchschnittliche Rendite der 546.293 Onlineshops bedeutet das ein Minus von 0,5 Prozent“, so Höschl. Aus allen Zahlen ließen sich einfacher formuliert drei Schlüsse ziehen: „zu viele Onlineshops, zu wenig Umsatz, zu wenig Gewinn“, so der E-Commerce-Experte. Höchste Zeit also für Online-Händler das Ruder im Meer aus Kennzahlen in die Hand zu nehmen und seinen Onlineshop auf Erfolgskurs zu steuern. Oder um es mit Peter Höschls Worten zu sagen: „Controller von Onlineshops stehen in einem Raum mit vielen Türen. Sich für die richtigen zu entscheiden ist die Kunst.“

Peter Höschl: „Google Analytics ist rausgeschmissenes Geld.“

Wer sich für seinen Einkauf für den bequemen Weg zum Online-Handel entscheidet, zahlt mit seinen Daten. Bei der Erhebung von Daten im E-Commerce sind so Kennzahlen wie der Erstkontakt der Kunden mit dem Onlineshop, die Conversion Rate, sprich der Anteil der umsatzrelevanten Seitenbesuche, die Avarage Session Duration, heißt die Zeit, die der Kunde pro Onlinesitzung auf der Seite verbringt oder die Anzahl der Retouren entscheidend. Anhand dieser Daten können Onlinehändler ihr Angebot kundenfreundlich anpassen und ihren Onlineshop profitabler machen.

Das vielleicht bekannteste Online-Controlling-Tool, weil auch in der kostenfreien Version nutzbar, ist Google Analytics. Beide Gastredner des 26. #ecommka, Höschl und Hagemeyer, halten das für wenig sinnvoll. „Erfolgreiche Pure Player nutzen keine Google Analytics“, so der Geschäftsführer von econda. Höschl formuliert das etwas drastischer: „Die Nutzung von Google Analytics ist verlorene Zeit und in der kostenpflichtigen Version zudem rausgeschmissenes Geld.“ Denn wie sich beide Redner einig sind, ist das Problematische an Google Analytics, dass Onlineshop-Betreiber mit der Nutzung dieses Tools letztendlich die Daten nicht vollends für Strategien im Griff behalten können, da den vollen Umfang der Datensätze letztendlich nur Google selbst bezieht. „Entscheidet man sich als Pure Player einmal Google Analytics den Rücken zu kehren, gehen wichtige Daten verloren und damit auch wichtiges Firmenwissen“, so Höschl. Möchte man so das Controlling erfolgsgenerierend und zukunftsorientiert betreiben, empfiehlt es sich diese Aufgabe von dem grauen Schleier der lästigen Buchhaltung zu befreien. Stattdessen sollte man beginnen das Controlling als wichtiges Potential für die Ausrichtung und Entwicklung seines Onlineshops zu betrachten.

Vier Dimensionen des Controllings

Den Ansatz im Umgang mit verschiedenen Kennzahlen im E-Commerce sieht Peter Höschl in den „vier Dimensionen des Controllings“. Diese vier Dimensionen sind: der Umsatz, die Kosten bzw. der Ertrag, das Sortiment und die Zeit. Bei dem Punkt Umsatz gilt es den Gewinn in seiner vollen Form zu umfassen und seinen Ursprung nachzuvollziehen. Die Dimension Kosten/Ertrag mündet in der simplen buchhalterischen Controlling-Formel: Ertrag minus Kosten. Diese gilt als Basis und ist essentiell für die allgemeine Kostengegenüberstellung. In der dritten Dimension kommt die entsprechende Anpassung des Sortimentes im Webshop hinzu. Hier stellt sich auch die Frage: „Welches Sortiment streue ich in welchem Marketingkanal?“, so Höschl.  Schließlich geht es dann bei der vierten Dimension Zeit um die Kontinuität der Datenbetrachtung: „Es reicht nicht seinen Blick auf die Momentaufnahme zu richten. Stellt man aktuelle Daten mit denen vergangener Quartale und Jahre in Zusammenhang, lassen sich Trends feststellen und daraus wichtige Voraussagen ableiten“, so der E-Commerce-Experte. Im Rahmen dieser vier Dimensionen existieren allerhand relevante Fragen, die man für ein Erfolg bringendes Controlling berücksichtigen sollte.

Die Fragen die man sich laut Peter Höschl für ein ergebnisorientiertes Controlling stellen sollte:

  • Was kostet mich die Bestellung?
  • Wie viel verdiene ich damit?
  • Mit welchen Artikeln verdiene ich das meiste Geld?
  • Welche Sortimente lohnen sich in welchen Kanälen?
  • Welche Kosten kann ich senken?
  • Wie kann ich mehr Stammkunden generieren?
  • Wie kann ich die Retourenquote senken?
  • Wie kann ich meinen Lagerbestand senken?
  • Wie wird sich mein Absatz entwickeln?
  • Wie entwickelt sich meine Liquidität?
  • Was ist der optimale Preis für den maximalen Ertrag?
  • Was sind die Topseller in meiner Branche?

Nach der Suche der richtigen Fragen innerhalb des Controllings, knüpft der Spezialist für Data-Driven E-Commerce Christian Hagemeyer an seinem Vorredner an und steigt mit einer Kernaussage ein, die zugleich Höschls Fragenkatalog resümiert: „Die Frage ist nicht ob ich die Kennzahlen betrachte, sondern wie ich sie betrachte“, so Hagemeyer. Die klassische Webanalyse, die den durchschnittlichen Seitenbesucher betrachtet, sieht Hagemeyer kritisch: „Haben Sie schon einmal einen halben Seitenbesuch getätigt?“, fragt er in das stattliche Forumspublikum und relativiert mit Humor: „Ja, vielleicht wenn der Browser bei der Hälfte des Seitenfensters aufgehört hat zu laden.“ „Diesen durchschnittlichen Besucher gibt es nicht“, so der E-Commerce-Spezialist. Deswegen gelte es bei dem personifizierten Kunden anzusetzen und sich die Angewohnheit des Amazon-Chefs Jeff Bezos einzuverleiben: „Der Kopf des weltmarktführenden Pure Players Amazon eröffnet kein Meeting, in dem er an den Besprechungstisch nicht einen leeren Stuhl hinzustellt. Diesen Stuhl reserviert er für den Amazon-Kunden, an den jeder Meeting-Teilnehmer bei der Entwicklung seiner Ideen und Pläne gemahnt werden soll“, so Hagemeyer und fügt ein Zitat des Amazon-Chefs hinzu: „Start with the custumer and work backwords. (Beginne bei dem Kunden und arbeite rückwärts.)“ Für Hagemeyer ist das einer der Gründe für den Erfolg des Onlineriesen.

Hagemeyer: „Custumer Journeys lassen sich vergleichen“

Natürlich gebe es nicht umsonst die Durchschnittswerte im Webanalyse-Bereich, allerdings mache es viel mehr Sinn ganze Custumer Journeys zu vergleichen: „Bestimmte Custumer Jouerneys wiederholen sich. Daraus kann ich Kundenprofile ableiten und als Pure Player mein Angebot an die Nachfrage meines Kunden anpassen. Ein Analyseergebnis könnte beispielsweise sein: 20 Prozent derer die Schuhe gekauft haben, kauften auch Sweatshirts“, so der Geschäftsführer des Anbieters von E-Business-Lösungen. Wer zu den 50 Prozent der deutschen Bundesbürger gehört, die über das Internet einkaufen, kennt solche Vorschläge. Unterhalb des aufgesuchten Artikels finden sich in vielen Onlineshops Vorschläge, die aus dem Vergleich solcher Custumer Journeys resultieren. Nicht selten treffen diese ins Schwarze: Je häufiger man als Konsument einen Onlinehandel aufsucht, desto treffender scheinen mit der Zeit die Produktvorschläge zu sein. Letztendlich trifft hier das Interesse des Onlinehändlers auf das seines Kunden. Der Kunde freut sich über passende Produktvorschläge und die gesparte Zeit, die er für die Suche aufwenden würde. Der Pure Player hat das Ziel des erfolgreichen Controllings erreicht und darf sich über zufriedene Kunden und dadurch abgeworfenen Gewinn freuen. Mit der Überschneidung der Interessen beider Parteien kommt so am Ende zusammen, was auch zusammengehört: die Nachfrage des Kunden und das Angebot des Onlinehändlers begegnen sich bei gegenseitiger Zufriedenheit.